Migration und Regression

Mein Vater verbrachte seine Jugend im Nationalsozialismus und beendete seine Ausbildung zum Techniker nach dem Krieg in den letzten privaten Betrieben in der DDR. Als er seinen Ingenieursabschluss machte, reifte in ihm der Entschluss die DDR zu verlassen und in die Bundesrepublik zu wechseln. 1960, also ein Jahr vor dem Bau der Berliner Mauer, reisten wir über Berlin in den Westen. Anschließend flogen wir mit einer amerikanischen Maschine in die Bundesrepublik und landeten schließlich am Ende unserer „Flucht“ in Tettnang am Bodensee, wo mein Vater als Elektroingenieur in den Rundfunkbetrieb „SABA“ eintrat. Mein Vater, meine Mutter und ich begannen sozusagen von vorn. Sein Ingenieurs-Abschluss fand in der neuen Firma nie die entsprechende Würdigung, sodass wir uns mit einem sehr niedrigen Einkommen begnügen mussten. Wenngleich wir uns aufgrund seiner Betriebszugehörigkeit bald mit dem entsprechenden Radioapparat, ich glaube man nannte es „Phonocenter“, ausstatten konnten, erwachte in meinem Vater eine andere Art von Initiative. Immer wieder brachte er sogenannte Schwundteile mit nach Hause und begann sein eigenes Radio zu bauen. Die Grundlage war ein fester Pappkarton, den er zuletzt mit DC-fix bezog. Der Lautsprecher lag schlicht und einfach im Regal daneben. Viele Jahre bewahrte ich dieses selbstgebastelte Radio auf, bis es schließlich bei einem meiner vielen Umzüge auf der Strecke blieb.